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„Es geht nicht länger um Kontrolle, sondern um Produktivität“
Ein Gespräch über Verantwortung und Freiheit im Job…
Wir haben die Verantwortung in früheren Beiträgen als die „hässliche Schwester der Freiheit“ beschrieben. In einem Gespräch mit der Psychologin Dr. Eva Wlodarek klären wir nun, ob da was dran ist. Wir schauen uns an, was Verantwortung und Freiheit bei unterschiedlichen Menschen auslöst – vor allem beim Berufseinstieg. Und wir diskutieren, wie sich moderne Führungsstile mit Verantwortung und Freiheit vertragen.
Frage: Die Organisation in unserer Agentur komm.passion ist darauf ausgerichtet, dass auch junge MitarbeiterInnen von Beginn an eine große Eigenständigkeit und Verantwortung an den Tag legen. Wir haben dabei festgestellt, dass das einigen Kollegen und Kolleginnen deutlich leichter fällt als anderen. Muss man Verantwortung „können“?
Dr. Wlodarek: Dazu möchte ich den Begriff erst einmal definieren. Verantwortungsvoll zu handeln bedeutet, sich voll dafür einzusetzen, dass etwas zu einem guten Ergebnis führt. Es gilt, die dafür notwendigen Aufgaben und Pflichten zu erfüllen – und zwar auch dann, wenn es schwierig ist und man keine Lust dazu hat. Das setzt ein großes Maß an Selbstdisziplin und Selbstmanagement voraus, das nicht jede(r) von vornherein besitzt.
Frage: Wird man also mit einer gewissen „Liebe zur Verantwortung“ geboren oder lernt man als Mensch im Laufe des Lebens erst, mit Verantwortung richtig umzugehen?
Dr. Wlodarek: Im Sinne von Lust an der Entfaltung und Selbstbestimmung ist Verantwortung allen Menschen angeboren. Die Frage ist nur, inwieweit das bisher gefördert oder unterdrückt wurde. Ob man mit Verantwortung umgehen kann, ist nämlich auch Erziehungssache. Kinder, die schon früh selbstständig sein mussten oder die in ihren Eltern ein gutes Vorbild hatten, sind als Erwachsene daran gewöhnt und eher bereit, Verantwortung zu übernehmen. Doch auch später kann Verantwortungsgefühl durch die richtige Anleitung durchaus noch geweckt werden.
Frage: Vor allem die jungen Generationen bestehen offenbar auf größtmögliche Freiheit in der Arbeitsgestaltung. Mit flexiblen Arbeitszeiten oder der Möglichkeit zum Home-Office wird man als MitarbeiterIn der „Chef über seine eigene Zeit“. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum ein regelmäßiger „Nine-to-Five“-Job offensichtlich nicht mehr im Trend liegt?
Dr. Wlodarek: Eine große Rolle für die neue Freiheit spielt die Technik. Mit Smartphone, Tablets oder Laptops kann man immer und überall seinen Job machen. Es geht nicht länger um Kontrolle – die unter diesen Umständen ohnehin kaum möglich ist – sondern um Produktivität. Entscheidend ist das Ergebnis. Zudem ist der Begriff „Work-Life-Balance“ inzwischen überholt. Für junge MitarbeiterInnen gibt es keine säuberliche Trennung von Arbeit und Freizeit mehr wie für frühere Generationen. Es geht ihnen insgesamt um Sinn, Wertschätzung und Freude an dem, was sie tun. Das fordern sie von Arbeitgebern selbstbewusst ein – und die müssen darauf reagieren, wenn sie die Besten gewinnen wollen.
Frage: Je freier die eigene Arbeitsgestaltung, desto größer wird auch der Grad an Verantwortung. Daher nennen wir die Verantwortung häufiger „die hässliche Schwester der Freiheit“. Können Sie diese Sichtweise nachvollziehen? Kann größere Freiheit auch größeren Druck bedeuten?
Dr. Wlodarek: Ich würde eher sagen: Verantwortung ist die „lästige“ Schwester der Freiheit. Sie ist diejenige, die Pflichten anmahnt, wenn man gerade in Feierlaune ist. Die streng auf einen Abgabetermin hinweist, wenn man lieber eine Serie anschauen möchte. Die dazu auffordert, sich auch am Wochenende weiterzubilden. Die einen kritisiert, wenn man Teamkollegen hängen lässt. Das führt jedes Mal zu inneren Konflikten – und die erzeugen Stress.
Frage: Durch das PO-System bei komm.passion, kann jeder Mitarbeiter/jede Mitarbeiterin projektbezogen zur „Führungskraft“ werden. Dann heißt es: Kollegen briefen, Aufgaben verteilen, Budgets kontrollieren und das Projekt managen. Ein großer Schwerpunkt liegt hier auf der Organisation. Gibt es tatsächlich das oft zitierte „Organisationstalent“?
Dr. Wlodarek: Nicht umsonst spricht man von Organisationstalent. Das große Ganze eines Projektes zu erfassen, es in einzelne Aufgaben zu zerlegen, diese zu delegieren, zeitlich zu planen und zu kontrollieren, ist durchaus eine Begabung. Von daher ist das nicht jedem gegeben. Ein Hinweis darauf, ob eine solche Fähigkeit vorliegt, ist, ob es dem oder der Betreffenden Freude macht und leicht fällt. Wer dieses Talent nicht besitzt, fühlt sich schnell überfordert und hat wenig Spaß daran. Allerdings kann es für kleine, überschaubare Projekt-Einheiten trotzdem funktionieren.
Frage: Organisation ist zwar wichtig, aber bei weitem nicht alles. Wir leben als Agentur davon, dass wir viele Kolleginnen und Kollegen haben, die in Projekten inhaltlich oder intellektuell führen. Wir nennen diese Kollegen dann intern „Fachkräfte“. Sie sind als absolute Experten – z. B. Kreative, Strategen, Mediziner – in Projekte eingebunden. Auch hier stellen wir ein großes Maß an Führung und Verantwortung fest, aber auf einer eher inhaltlichen Ebene.
Dr. Wlodarek: Für die ExpertInnen ist Verantwortung und Führung ebenso bedeutsam wie für die OrganisatorInnen. Der Unterschied ist nur, dass es sich bei ihnen zunächst vor allem um „Selbstführung“ handelt. Sie müssen eigenverantwortlich arbeiten und ihren Aufgabenbereich sinnvoll strukturieren. Bei ihnen geht es weniger um Briefen und Delegieren als um fachliche Ergebnisse, die sie dann allerdings auch regelmäßig und überzeugend kommunizieren sollten.
Frage: Was zeichnet eine(n) Anführer(in) aus – egal ob inhaltliche oder organisatorische Führung?
Dr. Wlodarek: Ob man ein(e) Anführer(in) ist, zeigt sich meist schon in der Kindheit – wer hat bei Spielen „das Sagen“, wer macht einfach nur gerne mit und wer spielt am liebsten für sich allein? Offenbar bringen wir genetisch schon einiges mit, das in puncto Führung und Verantwortung hilfreich ist. In der Psychologie kennt man die „Big Five“ der Persönlichkeit, fünf Eigenschaften, die laut internationalen Langzeitstudien bis ins hohe Alter unverändert bleiben. Dazu zählen Offenheit für neue Erfahrungen, emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion. Wer hier hohe Werte hat, dem fällt es wahrscheinlich leichter, verantwortungsvoll zu handeln und geschickt mit anderen zu kommunizieren.
Frage: Noch zum Thema „Führung“: In der Welt der Arbeitsorganisation hat der Begriff der „partizipativen Führung“ zuletzt Konjunktur gemacht. MitarbeiterInnen sollen von der Führungskraft in sämtliche Führungsentscheidungen einbezogen werden. Kann das wirklich dauerhaft funktionieren oder muss manchmal einfach jemand eine Entscheidung treffen?
Dr. Wlodarek: Einbeziehen im Sinne von informieren, Konsequenzen besprechen und Einwände berücksichtigen ist in jedem Fall notwendig und sinnvoll. MitarbeiterInnen können Vorgaben nur dann konstruktiv umsetzen, wenn ihnen das „Warum“ und „Wie“ erklärt wird. Ob eine Entscheidung jedoch gemeinsam beschlossen wird oder ob jemand sagt: „So machen wir das jetzt!“, hängt von der Aufgabe, dem Zeitplan und der Kompetenz der Führungskraft ab.
Frage: Was lösen die unterschiedlichen Führungsstile wohlmöglich bei MitarbeiterInnen aus?
Dr. Wlodarek: Das ist eine Typ-Frage, ähnlich wie bei Angestellten und Freiberuflern. Den einen ist mehr an innerer und äußerer Sicherheit gelegen. Sie schätzen es, Aufgaben zu erhalten und sie dann auszuführen. Damit fühlen sie sich gut, ein „Mehr“ würde sie überfordern. Die anderen möchten eigenständig gestalten, sind risikofreudiger. Ideal ist, wenn jeder im Job das bekommt, was zu ihm passt.
Über die Interviewpartnerin
Dr. phil. Eva Wlodarek ist Diplom-Psychologin mit langjähriger Praxis für Psychotherapie und Coaching in Hamburg. Sie ist eine gefragte Referentin mit Schwerpunkt Persönlichkeit und Kommunikation. Als Expertin vermittelt sie fundiertes Wissen in den Medien. Ihre Bücher zu den Themen Selbstvertrauen, Charisma und Lebenskunst sind Bestseller und wurden in 8 Sprachen übersetzt.