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SERIE: Wer bildet uns aus? Professorin Kerstin Thummes plädiert für mehr Perspektivenwechsel in der PR
Als Kerstin Thummes noch selbst Studentin war, hätte sie nicht gedacht, dass sie einmal in der Wissenschaft landen würde. Eigentlich hatte sich die 36-Jährige mit dem Diplom in Angewandter Medienwissenschaft auf einen klassischen Kommunikations-Job vorbereiten wollen. In der Pressestelle eines Unternehmens oder einer Agentur – Stellen, mit denen auch ihre heute fast alle liebäugeln. Stattdessen ist sie seit vergangenem Jahr Professorin am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Organisationskommunikation in Greifswald. Unbefristet. Sie habe im Grunde eine klassische wissenschaftliche Karriere hingelegt, lacht Thummes. Studentische Hilfskraft, Wissenschaftlichen Mitarbeiterin und Lehrkraft, Junior Prof, Vertretungsprofessur, und jetzt schließlich Inhaberin eines eigenen Lehrstuhls.
Alle PR-Berater sind Lügner. Ehrlich?
„Während meiner Diplom-Arbeit über Controlling-Maßnahmen in der Kommunikation habe ich gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, mich theoretisch richtig tief in ein Thema einzulesen“, erinnert sich Thummes. Sie absolvierte zwar während des Studiums Praktika, zum Beispiel bei Daimler Chrysler und Porsche. Eine feste Stelle hatte sie in der freien Wirtschaft aber nie. „Mich interessierten schon immer die theoretischen Debatten in unserer Branche viel mehr“, sagt sie. Die Schlagzeilen um den „PR-Promi“ Klaus Kocks, seine Aussage, PR-Berater seien Lügner und sein Ausschluss aus der DPRG fielen genau in die Zeit, in der Kerstin Thummes sich auf ihre Promotion vorbereitete. Ein Muss also, fand sie, sich mit dem Thema „Täuschung in der strategischen Kommunikation“ auseinander zu setzen. „Da steckt schließlich mehr dahinter als plumpes Lügen“, so Thummes. In ihrer Dissertation untersuchte sie die Grauzonen und Schattierungen von Täuschung und deren Bedeutung auf die Kommunikation von Organisationen.
Von 2008 bis 2011 war Thummes Promotionsstipendiatin an der Uni Münster. Hier sollte sie später auch eine Juniorprofessur erhalten. Es war ihr immer wichtig, ihre Themen in die Lehre mitzunehmen. Mit Studierenden in Münster untersuchte sie, wie
unterschiedliche Zielgruppen den Einsatz künstlicher Intelligenz in der strategischen Kommunikation moralisch beurteilen und wie sie moralisches Fehlverhalten von Unternehmen wahrnehmen. Dabei spielt auch Täuschung eine Rolle, etwa wenn Unternehmen zur Kommunikationen einen Algorithmus verwenden, der zielgenau die individuellen Ängste jeder Person anspricht, um sie besser
überzeugen zu können. „Bei solchen Fragestellungen kommt man natürlich schnell zu Fragen persönlicher Moralvorstellungen und Verantwortung“, sagt Thummes. Kommunikation hat für sie immer auch etwas mit Haltung zu tun.Die Frage muss sein: Was verlange ich von meinem Job?
Es passt zu Kerstin Thummes, dass sie heute einen Studiengang betreut, der gezielt auf die gestiegene Bedeutung von Kommunikation, nicht nur in Konzernen, sondern auch in Verbänden, NGOs oder Parteien reagiert. „Mir gefällt es, dass unsere Absolventen und Absolventinnen nicht ausschließlich in Unternehmen und Beratungen arbeiten, sondern beispielsweise auch in sozialen Organisationen.“ Solche „Karrieren“ wirkten auf sie nicht ganz so getrieben, wie die vieler Nachwuchs-Kommunikatoren. „Die meisten Studierenden wollen vor allem wissen, was die freie Wirtschaft von ihnen verlangt, wenn sie in den Job gehen“, so Thummes. Dabei sollte doch die Frage sein: Was verlange ich von meinem Job? Und wie möchte ich strategische Kommunikation gestalten?
Selbstbewusstsein, mehr eigene Ideen entwickeln als nur Instrument zu sein – das wünscht sich Thummes von der nächsten Generation. Ihr Tipp dazu ist alt, aber wahrscheinlich einer der hilfreichsten, um eine allzu grade Linie zu umgehen: „Lasst euch Zeit im Studium, hetzt nicht durch die Semester über die Abschlussarbeit in die erste Stelle. Schnuppert in andere Fächer, geht ins Ausland. Und zwar nicht nur für ein berufsvorbereitendes Praktikum, sondern etwa im Freiwilligendienst oder mit Work and Travel.“
US-Soldaten, BWLer, Obdachlose – Perspektivenwechsel sind wichtig
Thummes selbst hat aus dem Wechsel der Perspektiven für ihren Lebensweg viel mitgenommen; zum ersten Mal während eines High-School-Aufenthalts in den USA, wo sie die völlig andere Lebensperspektive einer Soldatenfamilie im Bible Belt kennenlernte. Während der Promotion studierte sie zwei Semester BWL und war überrascht mit welch anderer Denkweise künftige Managerinnen an der Uni geprägt werden. Außderdem habe sie, sagt Thummes, durch ihr soziales Engagement in einem Seniorenheim und einer Einrichtung für Obdachlose viel über unsere Gesellschaft gelernt.
All diese Perspektivenwechsel haben der Kommunikationsprofessorin geholfen, ihr Fach von außen zu betrachten und ihre heutigen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu führen. Von der Täuschung ist Thummes zur Selbsttäuschung gekommen. Ihre These: Wenn Kommunikationsverantwortliche auf die moralischen Ansprüche der
Gesellschaft und die Effizienzanforderungen ihres Unternehmens reagieren, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie der Selbsttäuschung unterliegen. Das heißt: Wer Anspruchsgruppen von den guten Absichten des Unternehmens überzeugen muss, ist besser darin, wenn ihn nicht permanent Gewissensbisse plagen. „Dazu kann es im Zweifel hilfreich sein, Informationen, die das Gegenteil belegen, einfach zu ignorieren“, erklärt Thummes. Solche Prozesse der Selbsttäuschung liefen unbewusst ab und seien daher besonders gefährlich, weil Kommunikationsverantwortliche gar nicht an den Punkt kommen, moralisches Fehlverhalten zu bemerken. „Hier können wir als Wissenschaftlerinnen durch die Erforschung möglicher Gegenmaßnahmen einen konkreten Beitrag zur Praxis leisten.“Aktuell pendelt Kerstin Thummes zwischen ihrer alten Heimat und Greifswald. Das sei zwar eine Anstrengung. „Aber die Vorzüge des Jobs wiegen das allemal auf. Ich habe dort eine sehr spannende Aufgabe übernommen, die mir viel Gestaltungsspielraum eröffnet. Außerdem ist das Team in Greifswald großartig und die Landschaft drumherum wunderschön. Dafür nehme ich in Kauf, dass ich viel Zeit im Zug verbringe, da ich nun deutlich weiter von meiner Familie und meinem Partner entfernt arbeite.“