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  • 9. Februar 2016 Klenk & Hoursch

    Plattform­dämmerung: Was machen Marken, wenn Facebook zum Hatebook wird?

    Der Blogbeitrag ist zuerst auf www.klenkhoursch.de/blog erschienen

    Die einen blocken die anderen, weil ‪die Pegida-Content geliked haben. Die anderen löschen die ‪#‎wirschaffendas-Kommentare der einen. Hier eine Direct Message „Warum hast du keine Frankreich­farben im Profilbild? Das ist doch schlimm, was da in Paris passiert ist!!!“. Dort ein angefangener und wieder abgebrochener Post zum Thema Flüchtlinge. Weil man sich fragt, ob man in dieser aufgeheizten Stimmung „unter Freunden“ noch seine Meinung schreiben kann, ohne gleich als „rechts“ beschimpft zu werden. Überall das Gefühl, auf Facebook habe sich die Stimmung gedreht, hätten sich die Themen verändert, wehe ein rauerer Wind.‬‬‬‬‬‬

    Die Fakten zum Gefühl

    Das Munich Digital Institute hat dieses Gefühl etwas genauer untersucht. Mitte Januar haben 1.271 deutsch­sprachige Facebook-Nutzer in einer Umfrage beantwortet, wie sie die politischen Diskussionen und die Atmosphäre im weltweit größten Netzwerk wahrnehmen. Und was dies für ihr zukünftiges Verhalten bedeutet.

    Die Ergebnisse im Kern:
    • 73,6 % der Befragten sehen auf Facebook zunehmend extreme politische Meinungen
    • 46 % der Nutzer werden „Freunde“ mit bestimmten politischen Meinungen zukünftig entfreunden
    • 20 % der befragten Facebook-Nutzer geben an, Facebook zukünftig weniger nutzen zu wollen

     

    Alle weiteren Ergebnisse der Umfrage hat das Munich Digital Institute hier aufbereitet.

    Spannend für Facebook, Game Changer für Marken?

    Die Auswirkungen dieser Entwicklung könnten für das Geschäfts­modell von Facebook beachtlich sein, schlussfolgert Christian Henne, Gründer des Munich Digital Institute: „Ganz unabhängig von den harten Zahlen dürfte eine aufgeheizte politische Stimmung in Facebook Marken zunehmend davon abhalten, stärker in Facebook zu investieren. Entweder, weil die Durchdringung mit eher seichteren Themen schwieriger wird. Oder auch, weil Nutzer in einer eher negativen Emotionalität und Stimmung angetroffen werden, die keine gute Basis für Marken­kommunikation ist.“

    In den letzten Jahren wurde Facebook schon x-mal totgesagt. Gleichzeitig hat sich das Netzwerk mit strategischen Zukäufen und starken eigenen Produkten brutal erfolgreich entwickelt. Auf die Hasswelle reagiert das Unternehmen jetzt mit der sogenannten „Initiative für Zivilcourage“, versucht also durchaus aktiv einzugreifen. Für Marketing-, Kommunikations- und Personal-Verantwortliche bleibt die Frage: Was bedeutet die aktuelle Entwicklung für die digitale Marken­führung? Flammt dort gerade ein Strohfeuer auf, das schnell verglüht und dann vergessen wird? Oder müssen Unternehmen ihre Plattformarchitektur neu planen und die Content-Strategie über den Haufen werfen?

    Vielleicht ist Facebook erst jetzt wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Im echten Leben sozusagen. Für die digitale Marken­führung hieße das:

    1. Marken-Content muss an Substanz gewinnen

    Die Timeline gewinnt im Schnitt an inhaltlichem Tiefgang. Da wird so manch einer sagen: „Der Ton auf Facebook wird ernster? Politische und gesellschaftliche Themen verdrängen People-are-awesome-Videos und Confused-Travolta-GIFs? Na endlich!“ Denn: Zu beobachten ist auch eine positive Politisierung. Auch das lassen ja die Ergebnisse der Umfragen oben ahnen, vor allem die zum Informationsverhalten. Menschen, die sich für Grundrechte und Verfassung stark machen. Die entschieden dagegenhalten und aufstehen. Zumindest innerlich. Und auf Facebook. In dieser Gemenge­lage wird auch der Content von Unternehmen an Substanz gewinnen müssen. Postings nur abseits dessen, was Menschen unter den Nägeln brennt, machen Marken flach, austauschbar, wechselanfällig.

    2. Marken brauchen eine Haltung zu den großen gesellschaftlichen Debatten

    Richtig gedachte und richtig gemachte Marken­kommunikation sorgt für Begehren, für Kauf, Wiederkauf und Weiterempfehlung. Langfristig wirkungsvolle Markenführung macht Marken zum Teil des Lebens von Menschen. Was als Teil des Lebens im Zeitalter von Transparenz und Verantwortung allerdings nicht mehr geht: sich raushalten aus den großen öffentlichen Debatten.

    Das wird nicht nur in sozialen Medien langfristig keine Option für Unternehmen bleiben. Marken werden zunehmend politisch sein müssen. Sie müssen sich darauf einstellen, Farbe zu bekennen. Sie müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass sie nicht unpolitisch bleiben können. Dass unpolitisch politisch ist. Dass Menschen genau darauf achten werden, wie Marken sich gegenüber gesellschaftlich brennenden Themen positionieren. Einige spannende Beispiele dazu hatte meine Kollegin Ulrike Eusterbrock letzte Woche verbloggt.

    Natürlich müssen und sollen Unternehmen und Marken nicht zu allem und jedem Stellung nehmen. Schon gar nicht auf Facebook. Aber der Spielraum, sich zu drücken, wird kleiner. Darin liegen Chancen: Unternehmen, die sich intensiv mit ihrem Bezug zu gesellschaft­lichen Heraus­forderungen beschäftigen, werden lebensnäher sein, werden ihre Mitarbeiter und Kunden enger binden. Als loyale und engagierte Markenfans.

    3. Analytics und Paid Media werden noch wichtiger

    Angesichts der schieren Masse an Informationen und der steigenden Politisierung in Facebook spielt der Kontext eine noch wichtigere Rolle in der Markenführung. Und dass Community Manager oder Service-Teams ganz nah dran sind an Momentum und State of Mind der jeweiligen Teilöffentlich­keit. Denn da wird die Marke geführt und da macht Fingerspitzen­gefühl den Unterschied.

    Erst vor wenigen Wochen, in der Vorweihnachts­zeit, hatte die Schokoladen­marke Lindt den Kontext zu spüren bekommen, als ein Advents­kalender mit einer Moschee einen Shitstorm hervorrief. Nicht, dass ein Shitstorm eine Krise wäre – trotzdem fiel das eben im November 2015 auf einen anderen Boden, als im November 2014. Allerdings: Das Lindt-Facebook-Team hat souverän, sympathisch und sehr geduldig reagiert. Auch das ist erfolgreiche digitale Markenführung.

    Apropos schiere Masse: Was Reichweite von Marken, Durchdringung von Botschaften und das Erzeugen von Marken­erlebnissen betrifft, wird Paid Media auf Facebook natürlich noch entscheidender. Das freut natürlich Facebook – und jede Marke, die eine Kampagne erfolgreich airt und durchsteuert.

    4. Strategische Grundlagen der Markenführung nachbessern

    In unseren Governance-Workshops und Krisen­simulationen sagen wir: Wer ein professionelles Monitoring, maßgeschneiderte Alert-Level und Reaktions-Algorithmen sowie eine ordentliche Portion Empathie gegenüber der Community hat, muss sich auf Facebook vor nichts und niemandem fürchten. Im Gegenteil, der wird eine Menge Chancen in diesem Medium sehen und nutzen. Das werden wir auch in Zukunft so sagen.

    Zu diesen Grund­lagen gehört ganz allgemein und vor größeren Aktivitäten ganz besonders eine pragmatische Szenario­planung auf Basis von Monitoring und Analytics. Und die entsprechenden Anpassungen der strategischen Grundlagen der Marken­führung. Damit die Risiken kalkuliert und beherrschbar sind.

    5. Es bleibt Raum für Confused-Travolta-GIFs

    Und für Marken­kommunikation. Das Social Web ist so groß wie das Leben, mindestens. Da gibt es inhaltliche Wellen und sporadische Brennpunkte. Aber wir Menschen bleiben Aufmerksamkeits­vagabunden auch und gerade in sozialen Medien. Die sind jetzt nur normal geworden.

    Es bleibt jenseits politischer Debatten, Wutbürger- und Gutmenschen­brüllen, Regenbogen- und Tricolore-Bekenntnissen reichlich Raum für Gewinn­spielchen, Kundenservice-Dialoge, Erklärteile, Recruitment-Aktivitäten und all die schönen Engagement-Treiber, die Unternehmen und Marken so lieb gewonnen haben.

    Es bleibt also spannend und die Heraus­forderungen wachsen. Gerade für Marken­kommunikation und Marken­führung. Gerade in Facebook und im übrigen Social Web. Diskutieren Sie mit: Was bedeutet Ihrer Meinung nach diese Entwicklung für Marken und Unternehmen? Welche Erfahrungen machen Sie?

    Digitale Markenführung mit ExpertInnen diskutieren?

    Diskutieren Sie die wesentlichen Fragen der digitalen Markenführung mit Unternehmens­vertreterInnen u.a. von Twitter, DATEV, Pinterest, SHEcommerce und EdenSpiekermann auf der BEEF4BRANDS II am 2. Juni 2016 in München. Es sind noch eine Handvoll Very Early BEEF Tickets für 290 Euro im Angebot. Disclaimer: Klenk & Hoursch ist Partner der Konferenz.

     

    Daniel J. Hanke ist Vorstand bei Klenk & Hoursch und berät Unternehmen in den Bereichen Digitalisierung und Change Communications. Er ist einer der Moderatoren auf der BEEF4BRANDS II, der Konferenz für digitale Markenführung.

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