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Next Corporate Communication – Interview mit Prof. Alexander Rossmann
Das Interview ist zuerst auf www.klenkhoursch.de/blog erschienen.
Alexander Rossmann(AR) ist Professor für Digital Business, Leiter des Hermann Hollerith Zentrums der Hochschule Reutlingen und seit 2006 Veranstalter der jährlichen Konferenz nextcc: Next Corporate Communication, Perspektiven der Digitalisierung für Marketing und Unternehmenskommunikation.
Das Gespräch führte Dr. Georg Kolb (GK), Managing Director Klenk & Hoursch AG.
GK: Lieber Herr Rossmann, zur Eröffnung der diesjährigen nextcc haben Sie mit dem folgenden Chart an Slogans der Konferenz aus vergangenen Jahre erinnert:
Quelle: Hochschule Reutlingen
2016 kam noch das Motto Innovation und Governance in der Digitalen Transformation hinzu. Die Entwicklung der Slogans spiegelt wider, wie das Thema während der vergangenen zehn Jahre gereift ist. Es fällt auf, dass die Slogans mehr auf die Digitalisierung insgesamt Bezug nehmen, weniger auf Kommunikationsthemen im engeren Sinne. Ist die nextcc noch eine Konferenz für Kommunikatoren?
Mehr als die Zukunft der Kommunikationsabteilung
AR: Ja, selbstverständlich ist die Konferenz eine Veranstaltung für Kommunikatoren. Die Frage ist natürlich, was man heutzutage unter dem Begriff Kommunikatoren versteht. Der Begriff wird aus meiner Sicht häufig etwas eng interpretiert und nur auf die Mitglieder der Kommunikationsabteilung in Unternehmen zugeschnitten. Aber die Rolle genau dieser Menschen hat sich in den letzten Jahren ja dramatisch verändert. Ich denke, es geht heute nicht mehr darum, nur die Kommunikationsabteilungen zu betrachten, sondern von Anfang an ein ganzheitliches Verständnis der Kommunikation innerhalb der Unternehmen und auch mit relevanten Stakeholdern zu etablieren. Das ist auch gemeint, wenn wir von Next Corporate Communication sprechen. Wir meinen nicht die nächsten Unternehmenskommunikatoren oder die nächsten Mitglieder der Abteilung Unternehmenskommunikation, wir meinen auch nicht die Zukunft der Abteilung Unternehmenskommunikation, sondern wir meinen im Endeffekt, wie Unternehmen innerhalb ihrer eigenen Systeme und auch mit relevanten Stakeholdern kommunizieren, und das betrifft heute viele Menschen in Unternehmen.
GK: Ich denke hier z.B. an zwei Sprecher auf der diesjährigen nextcc: Mario Pieper, Chief Digital Officer von BSH und Christian Wolter, Leiter des Digital Customer Office von W&W. Beide sind keine Kommunikatoren im engeren Sinne, dennoch gehören sie zu den wesentlichen Stakeholdern der Unternehmenskommunikation, über die Sie gerade gesprochen haben. Könnte man also sagen, es geht weniger um die Institution Unternehmenskommunikation und mehr um ihre Funktion als Ermöglicher für neue Geschäftsmodelle? Die Repräsentanten dieser Funktion können dann natürlich aus ganz unterschiedlichen Abteilungen kommen.
AR: Genau so ist es. Aus soziologischer Sicht bestehen Unternehmen ja aus Kommunikation, das heißt, das wesentliche Element von Unternehmen ist das der Kommunikation. Insofern wäre es sehr reduktionistisch, diese Aufgabe der Kommunikation nur an der Kommunikationsabteilung festzumachen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Diskussion rund um den Chief Digital Officer. Je nachdem, wie diese Rolle gestaltet ist, hat das auch Einfluss auf die Art und Weise, wie Unternehmen kommunizieren. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass man heute Unternehmenskommunikation nicht mehr nur aus Perspektive einer einzelnen Abteilung planen und gestalten kann, sondern es sind hier sehr viele Spieler mit an Bord, und es gibt sehr viele Möglichkeiten zu gestalten, wie man gerade in Zeiten des digitalen Wandels kommunizieren möchte.
Treiber der digitalen Transformation
GK: Kürzlich hat Tim Höttges, der Chef der Deutschen Telekom, mit einem Statement im PR-Report einige Aufmerksamkeit erregt. Er hat dort gesagt, die Unternehmenskommunikation müsse Treiber der digitalen Transformation sein. Ich nehme an, Sie würden dem zustimmen?
prreport.de: „Unternehmenskommunikation muss Treiber sein“
AR: Ja, die Unternehmenskommunikation ist als Abteilung prädestiniert, eine treibende Rolle in diesem Transformationsprozess einzunehmen. Diese Rolle hat sie ja auch mehr oder weniger angenommen. Ich kenne viele Kommunikatoren – auch aus klassischen Kommunikationsabteilungen -, die durchaus dabei sind, entsprechende Themen zu entwickeln und zu gestalten. Allerdings darf man auch nicht überzeichnen in dem Sinne, dass nur die Kommunikationsabteilung den Wandel gestaltet. Das hängt immer auch ein bisschen davon ab, wo man in der digitalen Transformation ansetzt. Wenn wir zum Beispiel eher im Bereich der Vernetzung der Produktion, also im Themenfeld Industrie 4.0, ansetzen, dann muss das nicht unbedingt durch die Abteilung der Unternehmenskommunikation alleine getrieben werden, sondern da sind natürlich viele andere Abteilungen genauso beteiligt.
GK: Was würden Sie der Funktion Unternehmenskommunikation empfehlen, um dieser stärkeren Verantwortung für eine Beteiligung aller Stakeholder möglichst gerecht zu werden?
Es geht um Moderation, Frameworks und Formate
AR: Zunächst mal: Auch dieser Prozess ist schon seit vielen Jahren im Gange. – Es ist wichtig, das eigene Rollenmodell zu überdenken. Die Funktion Unternehmenskommunikation ist sicherlich heute schon weit entfernt von irgendeiner Art von „One Voice Policy“. Es gehört zu den Reliquien der Vergangenheit, dass nur eine einzige Abteilung innerhalb des Unternehmens kommunizieren darf und unendliche Vorlagen und Prozesse einzuhalten sind, bevor eine Kommunikationsmitteilung den Weg nach außen findet. Ich glaube, dass man heute eher in eine Situation kommt, in der jeder Mitarbeiter oder sogar Partner und Kunden potentielle Kommunikateure des Unternehmens sind. Die Rolle der Unternehmenskommunikation könnte dagegen sein, hier stärker in eine steuernde, moderierende Rolle zu kommen. Das heißt dann aber auch, die Unternehmenskommunikation als Abteilung muss diese Aufgabe annehmen, muss offen sein und zugehen auf die Menschen innerhalb der Organisation, auf andere Abteilungen und auf potentielle Kommunikateure auch außerhalb des Unternehmens. Sie muss überlegen, wie für eine Moderation und Governance dieser unterschiedlichen Stakeholder Frameworks und Formate zu schaffen sind, in denen andere kommunizieren können, statt nur selbst zu kommunizieren. Das sind aus meiner Sicht einige wichtige Komponenten, durch die eine moderne Unternehmenskommunikationsabteilung heute skizziert sein sollte.
GK: Vielleicht kann man das noch in einen größeren Kontext einbetten, der aus meiner Sicht bei der nextcc16 immer wieder zum Vorschein kam. Der stärkste Antrieb für die digitale Transformation kommt aus der zunehmenden Vernetzung der Welt: der Vernetzung zwischen Menschen, zwischen Menschen und Dingen und der Vernetzung zwischen den Dingen, dem Internet of Things. Aus der Sicht der Unternehmenskommunikation haben Sie Vernetzung gerade als moderierte Beteiligung von Stakeholdern beschrieben. Nun ist es aber so, dass dieser Kultur der interessengetriebenen Vernetzung in vielen Unternehmen etablierte Hierarchien entgegenstehen. In Hierarchien ist Beteiligung eine Frage der Berechtigung, nicht unbedingt eine Frage des sachlichen Bezugs. Geht es für die Kommunikation also darum, den Übergang von Hierarchien zu Netzwerken zu vermitteln?
Von der Hierarchie zum Markt
AR: Ja, grundsätzlich geht es um den Wandel von Hierarchie in Richtung Markt, und dieses Spannungsfeld wird momentan ausgetragen. Wir sind heute stärker in Netzwerken engagiert, das gilt für alle Bereiche, für die Kommunikation, aber auch für die Produktion von Leistungssystemen. Dabei spielen auch Partner heute eine immer stärkere Rolle. Ich denke, wir werden den nächsten Schritt sehen, dass Unternehmen darüber nachdenken, ob die klassische hierarchische Aufbauorganisation mit den unterschiedlichen Hierarchiestufen überhaupt noch geeignet ist, um moderne Unternehmen zu steuern. Es wird neue Modelle geben – in Pilotprojekten zum Teil schon heute -, in denen auch größere, komplexere Unternehmen sich eher projektartig, agil aufstellen. Strukturen werden dann nicht unbedingt in Stein gemeißelt sein und für viele Jahre aufrechterhalten, sondern es wird eher darum gehen, sehr kurzfristig und aufgabengetrieben Strukturmuster aufzubauen. Auch Führungskräfte müssen nicht auf ewig Führungskräfte sein, sondern eben projekt- und aufgabenbezogen. Mitarbeiter können ihren Arbeitsmarktwert permanent weiterentwickeln und müssen nicht in einer einzigen Einheit versauern. Es wird so sein, dass sich Arbeitsmarktstrukturen immer mehr fluide gestalten, also nicht unbedingt die Bindung an das Unternehmen der treibende Faktor für den Arbeitnehmer der Zukunft ist, sondern vielmehr Home-Office-Konzepte, flexible Arbeitskonzepte, Teilzeit-Konzepte vorherrschen werden. Das setzt dann natürlich auch andere Steuerungsmechanismen voraus, die jetzt über klassische Hierarchiemuster der funktionalen Organisation, wie wir sie heute ja noch überwiegend wiederfinden, in den meisten Unternehmen nicht mehr zu gestalten sind.
Quelle: nextcc16-Workshop „Anders Arbeiten in der digitalen Welt“ mit Winfried Ebner und Antonia Petersmeyer von der Telekom Deutschland GmbH
GK: Zum Verhältnis von Hierarchie und Netzwerk will ich doch nochmal nachfragen. Der Veränderungsexperte John Kotter hat 1996 ein sehr einflussreiches Buch zu Change Management geschrieben. Vor wenigen Jahren hat er seinen Ansatz allerdings überarbeitet, und zwar mit vielen von den Argumenten, die Sie gerade genannt haben. Im Zeitalter der Vernetzung nähmen Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit zu, daher müssten Unternehmen sich flexibler und flüssiger gestalten, um sich schneller an Marktveränderungen anzupassen. Aber er meint, dafür bräuchten Organisationen der Zukunft ein „duales Betriebssystem“, in dem Hierarchie und Netzwerk parallel laufen. Hierarchien würden weiterhin gebraucht, wo es darum geht, bestehende Geschäftsmodelle profitabel zu betreiben, während Netzwerke dort zum Einsatz kommen müssten, wo rasche Neuansätze nötig sind. Können Sie das nachvollziehen?
John P. Kotter: „Accelerate: Building Strategic Agility for a Faster-Moving World“
Hierarchie und Netzwerk versöhnen
AR: Das kann ich schon nachvollziehen. Die Frage ist, wie so ein duales Betriebssystem denn genau aussieht. Innerhalb eines Systems zwei Betriebssysteme zu betreiben, sehe ich eher nicht. Ich glaube, es muss ein Betriebssystem sein, das beides ermöglicht: Kontext für Stabilität und Spielraum für Agilität. Da sehe ich prinzipiell keinen Widerspruch. Wir können heute ja auch sehr gut Projekte definieren, die sehr dynamisch aufgesetzt sind, vielleicht nur kurzzeitig laufen, und durch den Austausch mit Partnern aufgegleist werden. Wir können aber auch Projekte definieren, die stabil über mehrere Jahre, vielleicht sogar mit denselben Personen, aufgesetzt sind. Also ich glaube, die Zukunft wird eher von netzwerkartigen Strukturen geprägt sein, allerdings durchaus mit der Möglichkeit, innerhalb des Netzwerks auch stabile Zusammenhänge auf Zeit zu schaffen, die dann auch mehr Hierarchie und Stabilität erhalten.
GK: Wo wir gerade über die Zukunft reden: haben sie denn schon einen Slogan für die nextcc17?
Eintritt ins Zeitalter der Daten
AR: Ich denke, wir werden im nächsten Jahr noch stärker ins Zeitalter der Daten eintreten. Daten spielen zwar schon seit vielen Jahren eine wichtige Rolle, aber ihre Bedeutung wird zunehmend omnipotent. Nun gilt es zu fragen: Welche Daten haben wir eigentlich? Nur ein Bruchteil davon wird genutzt, das wissen wir, das heißt, es werden unheimliche Datenmengen angehäuft, die aber kaum in relevante Entscheidungsprozesse einfließen. Ich glaube, dass da noch sehr viel passieren wird, nicht nur, was Optimierung angeht, sondern auch was neue, datenbasierte Geschäftsmodelle angeht, neue Möglichkeiten, Daten zu kommerzialisieren. Dazu kommen noch ethische Fragestellungen, die mit der Verwendung von Daten einhergehen. Das wird ein Themenschwerpunkt sein, den ich für das nächste Jahr erwarte.
GK: Mich persönlich würde das Thema auf jeden Fall interessieren, und ich glaube, dass seine Bedeutung für die Zukunft von Marketing und Unternehmenskommunikation kaum überschätzt werden kann. Ich melde also schon mein Interesse für die nextcc17 an und hoffe, es wird vielen so gehen, die dieses Interview gelesen haben. Ihnen Herr Rossmann nochmal vielen Dank für Ihre Zeit!
AR: Herzlichen Dank Herr Kolb.
Dr. Georg Kolb ist Managing Director bei Klenk & Hoursch und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Kommunikation in der vernetzten Wirtschaft